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DAS ORCHESTER

Thema: Genderfragen im Orchester „Ein Umdenken ist nötig“ (von Antje Rößler)
Gespräch mit der Dirigentin Maria Makraki: Geschlechter-Parität braucht Zeit und politische Förderung

Frau Makraki, warum gibt es so wenige Dirigentinnen?
Ganz allgemein findet man in Leitungs- oder Führungspositionen sowohl in der Musik wie auch in anderen Berufen weniger Frauen als Männer. Das liegt nicht an Ihren geringeren Fähigkeiten, sondern an den sozialen Gegebenheiten unserer Gesellschaft, die nach wie vor generell Männern in hoch kompetitiven Berufen einen Wettbewerbsvorteil bietet. Der Beruf des Dirigenten ist mit vielen Reisen und einer allgemeinen Mobilität und Flexibilität des Beschäftigungsortes verbunden, was verständlicherweise mit der nötigen Konstanz und Stabilität eines Familienlebens leicht in Konflikt geraten kann. Bis vor kurzem waren Frauen am Dirigentenpult sehr ungewöhnlich. Allerdings fällt allmählich im Lauf der Zeit auch diese männliche Hochburg, wie die steigende Zahl von Dirigentinnen zeigt. Das ist kaum überraschend, da die Musik und generell die Kunst nicht nur einem Geschlecht vorbehalten ist. 

Wie könnte man diese Situation ändern?
Um diese Situation zu ändern braucht man soziale Strukturen und Förderungen, um Frauen von den traditionellen Familienverpflichtungen zu entlasten, natürlich ohne ihre Rolle als weibliche Bezugsperson in der Familie zu schmälern. Dadurch können die Qualitäten und die Fähigkeiten begabter Frauen leichter sichtbar werden. Das erfordert von der Gesellschaft eine höhere Toleranz und eine paritätische Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern. Hier sind sowohl politische Massnahmen zur Reduktion der Genderdiskriminierung, als auch ein generelles soziales Umdenken erforderlich. Durch die steigende Anzahl von Frauen in politischen, kulturellen, wissenschaftlichen aber auch unternehmerischen Spitzenpositionen ändert sich allmählich deren sozialle Wahrnehmung und Akzeptanz. Dies ist ein langwieriger und kontinuierlicher Prozess, der sicherlich weiter politisch gefördert werden muss. 

Hat Ihnen das Studium der Physik, auch eine Männerdomäne, geholfen, sich als Dirigentin durchzusetzen?
Die Verbindung von Wissenschaft und Kunst bildete von Anfang an eine zentrale Rolle für meine persönliche Entwicklung und für all meine Entscheidungen. Die Musik ist in der Physik enthalten und die Physik in der Musik. Klang ist ein physikalisches Phänomen, Harmonie fußt auf Strukturen. Die beiden Systeme lassen sich zusammenführen. Hinter der ganzen Bandbreite meiner Interaktion mit dem Orchester erkenne ich einen rationalen, wissenschaftlichen Ansatz. Komplexe Strukturen lassen sich dabei unter dem Gesichtspunkt der Physikerin zur Geltung bringen. 

Gibt es unter Dirigentinnen ein Netzwerk oder besondere gegenseitige Unterstützung?
In einer modernen, offenen Welt gibt es Förderprogramme für Dirigenten allgemein und im Speziellen auch für Dirigentinnen, zum Beispiel das Hart Institute of Women Conductors in Dallas. Allerdings sollten wir uns nicht auf die Frage des Geschlechts konzentrieren, da wir dadurch die wesentlichen Inhalte verfehlen. Ich persönlich fokussiere ganz bewusst auf den Kernbereich meines Berufs, alles andere erscheint mir unwichtig. 

Stimmt es, dass in schlechter bezahlten Orchestern mehr Frauen spielen?
Nicht nur in den Führungsetagen der großen Konzerne mangelt es an Frauen – auch in Kulturorchestern und in den Medien. Es ist bekannt: Je berühmter ein Orchester, desto geringer der Frauenanteil. Die angestrebte Gleichstellung sollte aber kein Selbstzweck sein. Zielsetzung ist es, ein bedeutendes, künstlerisches Qualitätspotential auszuschöpfen. Orchester müssten stärker für das Thema sensibilisiert werden und Frauen einfacher und häufiger in Führungspositionen gelangen.

Warum ist das so?
Dass Frauen es im Kulturbereich eher zu abhängigen als zu leitenden Funktionen bringen, hat nichts mit einem Mangel an qualifiziertem Nachwuchs zu tun, sondern mit dem Phänomen, dass der Kulturbetrieb seit Jahrhunderten männlich dominiert ist. Auch an den Universitäten sind die Studierenden bis zum ersten Studienabschnitt zur Hälfte oder sogar zur Mehrzahl weiblich, aber mit Promotion und Habilitation geht der Frauenanteil drastisch zurück. Die Gründe dafür haben wir bereits erwähnt. Die dafür verantwortlichen sozialen Strukturen sollten geändert werden, und der Staat müsste diesen Prozess fördern. 

Haben Sie selbst Diskriminierung im Beruf erlebt?
Sicherlich gibt es konservative Orchester mit konservativen Mitgliedern. Im Laufe meiner Dirigentenkarriere habe ich ein paar schwierige berufliche Situationen erlebt, die möglicherweise auch auf Genderdiskriminierung zurückgingen, teilweise aber auch auf mein jugendliches Alter. Eine 30-jährige Dirigentin am Pult eines hochkarätigen Orchesters mit vielen erfahrenen und routinierten, meist männlichen Profimusikern steht vor einer großen Herausforderung und muss sich an dieser Position durchsetzen. Es ist ganz natürlich, dass man dabei von verschiedenen Seiten auf Kritik stößt. Aber ich denke, dass eine Frau an einer solchen Position eine Schlüsselrolle spielen kann, wenn ihr Ansatz glaubwürdig ist. Dann hat sie es in der Hand, die Empfindsamkeit der Musiker und des Publikums zu berühren, neue Kräfte freizusetzen und neue Klangeinheiten zu kreieren. Wenn ich ein Werk dirigiere, dann ziele ich auf eine Interpretation ab, die sich nicht allein auf einer intellektuellen, technischen und morphologischen Ebene bewegt, sondern die versucht, die Notation in eine Vielfalt von Gefühlen und Erfahrungszuständen umzuwandeln. Der Klang wird zu einem tatsächlichen Wesen aus Fleisch und Blut, zu etwas sehr Persönlichem und daraus kann sich ein Füllhorn von Energie entwickeln. 

Was geht vor, wenn Sie das erste Mal vor einem neuen Ensemble stehen?
Die ersten Minuten sind immer kritisch, denn es ist die erste Begegnung zweier gleichwertiger Partner. Beim Dirigieren geht es um das Umsetzen einer musikalischen Vorstellung, und eine Dirigentin kann sehr viel Durchsetzungsvermögen, Ausstrahlung, Musikalität, Intelligenz und Autorität haben, wie in jedem anderen Beruf. Die eindringliche Kommunikation mit dem Orchesterensemble und die Metamorphose des Klangs in authentische Gefühle ist ein faszinierender Prozess, der nichts mit dem Geschlecht zu tun hat. Die innere Befriedigung, meinen musikalischen Ansatz auf diesem Gebiet zu kommunizieren und auszudrücken, gehorcht einem inneren Impuls. Dabei ist das Gefühl von Harmonie, Ganzheit und Einheit bestimmend.

Wie gewinnen Sie bei den Orchestermusikern Autorität?
Unter Durchsetzungsvermögen verstehe ich die gemeinsame und ganz natürlich entstandene Akzeptanz einer Grundidee. Diese Akzeptanz ist das Resultat einer geistigen Auseinandersetzung, die auf Geben und Nehmen beruht. Ein glaubwürdiger persönlicher Ansatz, kombiniert mit einer hervorragenden wissenschaftlichen Ausbildung, aber auch eine angeborene Musikalität lassen eine auf Vertrauen fußende und gut ausbalancierte Dreiecksbeziehung zwischen Maestro, Musikern und Publikum entstehen – die Chemie muss stimmen. Die Qualitätskriterien, wie man ein Werk morphologisch, strukturell und gestalterisch mit einer klaren Haltung interpretiert, die man mit Zuneigung und Ausstrahlung den Orchestermusikern vermittelt, ist eine prägende Mischung aus intellektuell-geistigen, psychologischen, deskriptiven und sozialen Fähigkeiten. 

Was machen Sie, wenn Sie ein Musiker offensichtlich nicht akzeptiert?
Einer solchen Herausforderung kann man an jeder Führungsposition begegnen. Man sollte ihr ruhig entgegentreten, im Lauf der Zeit kann daraus eine dynamische Beziehung erwachsen. Es ist bestimmt nicht einfach, dass eine Frau von allen Orchestermitgliedern durchgehend und gleichermaßen akzeptiert wird. Doch mit harter Arbeit, Disziplin, Zielgerichtetheit, Liebe zum Detail und zur Sache, Beharrlichkeit und Geduld gestaltet man die Umstände so, dass man seine Vorstellungen konsequent und eindringlich umsetzen kann. 

Was hat Sie bewogen, ein eigenes Ensemble zu gründen?
Die Initiative zur Gründung der Camerata Europæa (CE) mit Sitz in Berlin stammte ursprünglich vom Komponisten und Pianisten Marcello Abbado, dem Bruder von Claudio Abbado. Damit sollte ein musikalisches Ensemble geformt werden, dass die europäischen Ideale verkörpert. Sein Vorschlag, diese künstlerische Institution gemeinsam aufzubauen, war mir eine besondere Ehre. Die CE unterstützt die Entwicklung von Initiativen, die zur Anregung, Nachhaltigkeit und grenzüberschreitenden Verbreitung künstlerischer Werke und - in enger Anbindung an die Grundprinzipien der kulturellen Agenda der Europäischen Union - zur Mobilität der Kulturschaffenden und zur Kultivierung eines interkulturellen Dialogs beitragen.
Berlin ist eine schnelllebige, offene, intensive Stadt, die viele Kulturen zu einem breiten Austausch von Ideen und Künsten zusammenführt. Kunst braucht Pluralismus, und Städte wie Berlin sind prädestiniert für grenzüberschreitende und experimentelle Projekte, was auch vollkommen zum Stil der CE passt.

Wie viele Männer und Frauen gibt es in der Camerata Europæa?
Wir sind für Gleichberechtigung und wählen immer den besten Musiker für eine freie Stelle. Eine Geschlechterquote spielt dabei keine Rolle.

Warum hat die Camerata Europæa weitere Sub-Ensembles in Innsbruck und Athen?
Wir wollten unser Programm erweitern und einen weiteren strukturellen Bogen vom europäischen Norden zum Süden schlagen. Unser Ziel ist, Brücken zu bauen für besseren Austausch, gegenseitige Durchdringung und Vertiefung der europäischen Kulturen. Die Schaffung von drei flexiblen musikalischen Formationen ist nicht nur auf künstlerischem Niveau nutzbringend, sondern auch bei der Organisation von Tourneen, die in die Kulturhauptstädte Europas führen, und für die allgemeine Durchführung künstlerischer Reisen in ganz Europa. Die CE bewegt sich wie eine leichtfüßige Karawane durch die europäische Musiklandschaft und bildet ein Forum für die lebendige Begegnung mit der Musik, der Kunst und Kultur aller europäischen Länder. Auch während der europäischen Finanz- und Integrationskrise war die CE ein Instrument der Völkerverständigung für interkulturellen Austausch und europäischen Zusammenhalt.

Welche Projekte führen Sie in Ihrer griechischen Heimat durch?
Wir führen auch in Athen Veranstaltungen durch, wo wir unsere Sichtweise erweitern, die Musik mit anderen Künsten verbinden und innovative Projekte mit experimentellen Räumen zusammenführen. Im Rahmen des diesjährigen Programms von 2020 wird die CE einen Konzertzyklus zum Thema "Odyssee" aufführen – ein griechisches, aber auch durch die Jahrhunderte gültiges Thema, das dem tieferen Sinn des menschlichen Lebens nachgeht: am 24. Oktober im Megaron Athen, am 21. November im Blackmore Musiktheater in Berlin und am 18. Dezember im Haus der Musik in Innsbruck. Dabei erhält das Publikum die Gelegenheit, Musik, Kunst und Kultur auf einzigartige, mehrdimensionale Weise zu erleben. 

Wo wohnen Sie eigentlich?
Ich wohne mit meinem Ehemann und unseren beiden erwachsenen Söhnen in Deutschland und pendle zwischen Österreich, Griechenland und Deutschland, bin jedoch für verschiedene Gastauftritte in ganz Europa und international unterwegs.

Wie bringen Sie Ihr Familienleben und den Beruf unter einen Hut?
"Ohne Fleiß kein Preis" (Ta kalá kópois któntai), ist nicht nur ein deutsches sondern auch ein altgriechisches Sprichwort. Grundlage für alles sind Bemühen, Disziplin, gute Organisation und Toleranz. Meine große Liebe zu meinem Beruf war und ist, jetzt und in Zukunft, eine treibende Kraft und wesentliche Inspiration, die mir tiefe Emotionen und Seelenerhebung bietet.

(Abo): https://dasorchester.de/artikel/ein-umdenken-ist-noetig/ 

Das_Orchester_Dirigentin_Maria_Makraki_2020.pdf (2,2 MB)

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